Die Alfa 2600 Story

So entstand der "Touring Spider"

Inhaltsübersicht

Leider werden über die Geschichte des Alfa Romeo 2600 Spider manchmal Märchen erzählt. Touring wird oft generell gleichgesetzt mit Superleggera – Superleicht. Das war der 2600 Spider jedoch nie, er hatte wie sein Vorgänger, der 2000 Spider, eine geschweißte Stahlkarosse. Und auch der Sechszylinder-Motor war keine komplett neue Entwicklung, wie häufig behauptet wird, sondern ein sehr gut gelungenes Derivat aus dem vorhandenen Vierzylinder des Alfa 1900. Wir sind im Archiv von Touring und im Centro Documentazione von Alfa Romeo auf Spurensuche gegangen.

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Der offizielle Name des Wagens lautet: Alfa Romeo 2600 Spider. Der Zusatz „Touring“ wurde von Alfa Romeo meist weggelassen, schließlich wurde beim Coupé mit Namen Sprint auch nicht explizit erwähnt, dass dessen Design von Bertone stammte. Die Bezeichnung „Touring Spider“ ist nur in Deutschland geläufig, in Italien wird er in Kurzform richtigerweise als „die“ Alfa Romeo 2600 Spider tituliert (Autos sind im Italienischen weiblich). In früheren Zeiten war allerdings es üblich, dass Autohersteller überwiegend die Technik eines Wagens produzierten und die Karosserie bei einem spezialisierten Karosseriebauer in Auftrag gaben. Alfa Romeo hatte schon vor dem Krieg intensiv mit der „Carrozzeria“ Touring zusammengearbeitet, was nach dem Krieg zumindest bei den hochwertigen Modellen als Tradition fortgesetzt wurde. Der 2600 Spider als Topmodell seiner Zeit, bei dem keine allzu hohen Verkaufszahlen zu erwarten waren, wurde also wieder bei Touring in Auftrag gegeben (siehe Interview mit Giovanni Bianchi Anderloni). Deutlich höhere Stückzahlen wie zum Beispiel bei den Giuliettas hätte Touring als handwerklich arbeitender Betrieb nicht bewältigen können.

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1961: Große Investition um Touring in die Zukunft zu führen. Das neue Touring Werk in Nova Milanese bei Mailand.

Die Produktion der Alfa 2600 Spider lief so ab: Alfa lieferte einen Grundrahmen (scocca) zu Touring, der bestand aus der konstruktiven Basis mit Bodengruppe und Motoraufnahme, Stirnwand zum Motor mit eingeschlagener Fahrgestellnummer und Innenschwellern. Diese „scocca“ wurde von Touring dann mit der äußeren Karosserie eingekleidet. Die Bleche, Kotflügel, Hauben und Türen wurden also bei Touring gepresst und dann in einer Montagestraße per Hand zusammengeschweißt. Dabei lief die Karosserie mehrmals durch eine Art Maßkontrolle, bei der Fixpunkte überprüft wurden. 

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1961: Die neue Auslieferungshalle in der Produktion des Alfa 2000 Spider.

Als wir im Interview den Sohn des ehemaligen Besitzers Giovanni Bianchi Anderloni fragten, warum es dann doch kleine Unterschiede zwischen rechts und links zum Beispiel bei der Wölbung der Kotflügel gab, antwortete er lächelnd: „Wir waren ein handwerklicher Betrieb. Rechts hat Antonio geschweißt und links Luigi.“ Immerhin eine sympathische Begründung und die Garantie, dass es sich wirklich um ein handgefertigtes Fahrzeug handelt.

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1962: Einweihung der neuen Lackierstraße bei Touring mit dem Alfa 2600 Spider.

Es war uns nach dem Studium der Alfa Produktionsunterlagen auch aufgefallen, dass die Auslieferung der fertigen Fahrzeuge nicht in der Reihenfolge der Fahrgestellnummern erfolgt sein konnte. Spätere Nummern wurden beispielsweise schon im Mai ausgeliefert, frühere erst im September. Auch dafür hat Bianchi Anderloni eine Begründung parat: „Als die Fahrgestelle (scocca) von Alfa angeliefert wurden, haben wir sie in unseren Hallen nicht der Reihe nach gelagert, sondern dort, wo gerade Platz war. Für die Weiterverarbeitung haben wir sie dann von dort genommen, wo sie am günstigsten standen. Das ging also nicht nach Reihenfolge der Fahrgestell-Nummern.

 

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1962: Die Montagehalle bei Touring. Hier wurden die Karosserien geschweißt. Trotzdem erhebt Alfa Romeo bis heute den Vorwurf, dass Touring zu wenig industriell gewesen sei.

Nach der Montage der Karosserie liefen die 2600 Spider durch die neue Lackierstraße bei Touring. Dabei standen im Prinzip nur für verschiedene Farben zur Auswahl (siehe Farbtabelle): rosso Alfa, nero, grigio biacca, grigio grafite und giallo paglierino. Auf Kundenwunsch wurden gegen Aufpreis auch andere Farben angeboten, allerdings nur solche, die im Touring-Werk für andere Marken verwendet wurden, also Lancia und Maserati. So wurde zum Beispiel unser erster Alfa 2600 in grigio Montebello lackiert, das sonst nur für Lancia und Maserati vorgesehen war. Innenraum, Motorraum und Kofferraum waren immer in etwas rauher, zäher, mattschwarzer Antidröhn-Farbe lackiert. Nach der äußeren Lackierung wurde ebenfalls bei Touring auch der Kabelbaum samt Elektrik und die Innenausstattung eingebaut. Sitze und Armaturenbrett wurden generell mit Kunstleder (finta pelle) bezogen, als Extra konnte man allerdings auch echtes Leder bekommen. Innenraum und Kofferraum waren neben den seitlichen Teppichen mit Gummimatten ausgelegt, die nach heutigen Maßstäben jedoch sehr rustikal und wenig elegant wirken. Um dem Fahrzeug dennoch einen hochwertigen Ausdruck zu geben wurden immerhin die Türeinstiege und die unteren A-Säulen mit glänzenden Edelstahlblechen verkleidet und der Motorraum erhielt am Abschluss zur äußeren Karosserie eine edle Aluleiste.

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1962: Einfahrt in die neue Lackierstraße. Alfa, Lancia und Maserati konnten hier gleichzeitig lackiert werden. So war es möglich einen 2600 Spider auf Sonderwunsch auch in einer Lancia-Farbe lackiert zu bekommen.

Mit fertiger Karosserie und Elektrik wurden die 2600 Spider schließlich auf einem Rollgestell wieder auf Lastwagen geladen und zu Alfa zurückgebracht. Bei manchen Fahrzeugen fehlten dabei die Scheinwerfer und die Tachometer, weil die je nach Spezifikation des Auslieferungslandes (zum Beispiel USA mit „sealed beam“ Scheinwerfern und Meilentacho) individuell bei Alfa eingebaut wurden. Zurück im Alfa-Werk wurden erst hier Motor, Getriebe, Achsen und Bremsen eingebaut. Insgesamt war das ein extrem aufwändiger Prozess, der natürlich auch dazu beitrug, dass der 2600 Spider ein teures Fahrzeug wurde.

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1962: Bei der Einweihung der neuen Lackierstraße kam auch die Konkurrenz von Pininfarina.

Der bekannte Auto-Manager Dr. Ulrich Bez – ehemals BMW und Porsche, 2000 bis 2013 Chef von Aston Martin – hat einmal provokativ gesagt: Seltene Autos waren entweder zu teuer oder zu schlecht. Bezogen auf unseren Alfa Romeo 2600 Spider trifft sicher zu, dass er für seine Zeit und seine Leistung zu teuer war. Mit etwa 25.000 Mark war er fünf Mal so teuer wie ein VW Käfer, er lag etwa 6000 bis 7000 Mark über einem Mercedes 190 SL oder einem Porsche 356 Super 90. Gleichzeitig war er nur geringfügig preiswerter als ein Jaguar E-Type (ca. 27.000 Mark), der jedoch mit seinen 3,8 Liter Hubraum gut 100 PS mehr Leistung an die Hinterräder brachte.

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1962: Die fertigen Karosserien wurden bei Touring auf Rollgestelle montiert und per Lastwagen (hier links im Bild) zu Alfa Romeo transportiert, wo Motor, Getriebe und Achsen eingebaut wurden. Der vordere 2600 Spider hat noch keine Scheinwerfer, weil er für die USA vorgesehen war, was man auch an den Stoßstangenhörnern erkennt. Die für die USA vorgeschriebenen "sealed beam" Leuchten wurden auch bei Alfa eingesetzt.

Obwohl damals ein Auto mit modernster Linienführung, optisch sehr ansprechend, mit exklusiver, fortschrittlicher Technik und hohem Prestigewert war der 2600 Spider Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts das, was man damals einen Ladenhüter bezeichnete. Heute würde man wohl Flop sagen. Nur 2255 Fahrzeuge wurden in drei Jahren – zwischen 1962 und 1965 verkauft. Eine lächerlich geringe Zahl im Vergleich zu den 100.000 Giuliettas, die Alfa im selben Zeitraum verkaufte. In den Jahren 1962 und 1963 lief der Absatz noch vergleichsweise zufriedenstellend, doch schon 1964 standen die Fahrzeuge wie Blei – trotz der Modernisierung mit vier Scheibenbremsen. Manche wurden erst 1966 oder 1967 erstmals zugelassen, weil die Händler sie nicht loswurden und hohe Rabatte geben mussten um sie überhaupt verkaufen zu können. Manche Händler in Europa verschifften die Autos in ihrer Verzweiflung schließlich sogar nach Kanada, weil sie dort mit europäischer Spezifikation zugelassen werden konnten.

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Aber warum kam dieses Auto damals nicht an? Um das zu verstehen, muss man tief in die Geschichte und in die Denke von Alfa Romeo und der – bis zu diesem Spider treuen Partnerfirma Touring – einsteigen. Alfa war vor dem Krieg ein Hersteller von Rennwagen und hochexklusiven Straßensportwagen und Limousinen. Fahrzeuge wie der 6C 2500 oder der traumhafte Achtzylinder 8C 2900 waren Sportwagen-Ikonen in ihrer Zeit – Autos von enormer Strahlkraft und höchstem Prestigewert. Treuer Partner von Alfa Romeo war vor dem Krieg die Karosseriebaufirma Touring in Mailand. Sie kleidete die fortschrittliche und überragende Technik von Alfa Romeo in für damalige Zeit wegweisende, supermoderne Karosserien ein, die als Vorbilder für viele andere Karosserie-Designer dienten.

 

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Betörende Touring Karosserien aus den 30er Jahren - der 8C 2900, oben als Sport-Limousine und unten als Renncoupé. An den vier Scheinwerfern - untereinander platziert - erkennt man, dass der 2600 Spider an die große Vorkriegs-Tradition anschließen sollte.

Den Begriff „Superleggera“, der später von Mercedes ins Deutsche SL = Superleicht übernommen wurde, prägte Touring schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Gemeint war damit eine Karosserie-Konstruktion mit einem Gitterrohr-Rahmen, über den die Aluminium Karosse gezogen wurde. Insgesamt ergab das einen erheblichen Gewichtsvorteil gegenüber normalen Stahl-Karosserien, die damals noch oft über Holzrahmen konstruiert wurden. Die Kombination aus fortschrittlicher Motorentechnik mit zwei obenliegenden Nockenwellen und Superleggera-Karosserie brachte den Alfas vor dem Krieg die sportlichen Erfolge und den Nimbus ein, von dem die Marke heute noch profitiert. Henri Ford soll gesagt haben: „Wenn ich einen Alfa sehe, ziehe ich meinen Hut.“

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The most pleasant Alfa of all“: Die ersten Tests über den Alfa 2600 Spider - wie hier in der englischen Zeitschrift ROAD TEST - fielen überschwänglich aus. Besonders der Motor wurde gelobt.

Was die Fahreigenschaften des großen Alfa Spider angeht, so kann man hier bestimmt nicht von „schlecht“ reden, aber optimal waren sie aus heutiger Sicht eben auch nicht. Der Motor als Herzstück des Fahrzeugs schneidet bei weitem am besten ab: seidenweicher Lauf, gutes Drehmoment, ordentliche Beschleunigung, dezenter, aber Alfa-typischer Klang, vor allem beim Gas-Wegnehmen ein angenehm-sonorer Sound, der tief in der Bauchhöhle ein Gefühl von überlegener Kraft erzeugt. Der Redakteur der Oldtimer Zeitschrift, die 2018 meinen Artikel über unseren Alfa 2600 Spider veröffentlichte, hatte mir als Schluss der Story angedichtet, ich würde gerne in miefige Italienische Tunnels fahren um den Sound des Alfa zu genießen. Mit Verlaub, das ist Unsinn. Unser Alfa 2600 ist kein Krawall-Fahrzeug, sondern ein elegant-sportlicher Gleiter. Ein übertrieben lauter Sound wäre da nur peinlich.

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Die technischen Daten des Alfa Romeo 2600 Spider wurden in vier Sprachen veröffentlicht. Offensichtlich war Alfa anfangs sehr stolz wieder ein Fahrzeug für die Oberklasse zu haben.

Das Getriebe – übrigens entwickelt von Porsche – war für damalige Zeiten sehr fortschrittlich: Fünf Gänge voll synchronisiert. Zur gleichen Zeit gab es zum Beispiel beim Jaguar E-Type nur vier Gänge mit einem nicht synchronisierten ersten Gang – die berüchtigte „Moss Crashbox“. Allerdings ist das Fünfgang-Getriebe des Alfa 2600 ziemlich kurz übersetzt – man muss im unteren Geschwindigkeitsbereich viel schalten. Beim Runterschalten von dritten in den zweiten Gang scheint auch die Synchronisierung nicht optimal zu sein. Wenn man hier nicht eine Gedenksekunde einlegt oder Zwischengas gibt, kratzt es manchmal. Dieses Phänomen gibt es wohl nicht nur beim heute überholten Getriebe, sondern gab es wohl auch schon ehemals bei den Neuwagen: Unser Erstbesitzer Dr. Giulio Curioni berichtet, dass er schon damals beim Runterschalten das Kupplungspedal wirklich ganz bis zum Boden drücken und dann langsam schalten musste um keine Kratzgeräusche zu erzeugen.

 

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Die Bremsen der 2600er dagegen mit dem von der englischen Firma Girling dazu gekauften Bremskraftverstärker funktionieren einwandfrei – viel besser als beim E-Type. Selbst in seiner frühen Version mit den Trommelbremsen hinten verzögert der Alfa 2600 einwandfrei und gut dosierbar, viel besser als ein originaler E-Type. Bisher sammelt der Alfa 2600 bei den Fahreigenschaften also allerhand Pluspunkte, wenn da nur nicht die antiquierte, starre Hinterachse wäre. Die trübt das Fahrvergnügen dann doch etwas. Auf der Autobahn, glatten Landstraßen mit sanften Kurven merkt man zuerst Mal gar nichts, doch wenn dann mal Schlaglöcher oder in Städten die Bremsschwellen kommen, dann schlägt und stößt das antike Teil wie ein Trampeltier, in schnell gefahrenen engen Kurven hat man manchmal das Gefühl, das ganze Hinterteil des Wagens würde versetzen. Das war wohl auch der Grund, warum man in der Konstruktionsabteilung von Alfa schon 1963 darüber nachdachte dem Wagen eine Einzelradaufhängung hinten zu spendieren (siehe Tagebuch von Giuseppe Busso), was dann aber wegen mangelndem Erfolg des Wagens wieder verworfen wurde.

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Etwas besser wird das Fahrverhalten immerhin, wenn man an den hinteren Schubstreben Silentblöcke aus festem Kunststoff statt aus weicherem Gummi (original) einsetzt. Einziger Trost: Bei italienischen Autos waren die Starrachsen zu dieser Zeit noch Gang und Gäbe, selbst bei Maserati sah die Straßenlage nicht besser aus.

Als weitere Manko kann man sicher die schwergängige Lenkung bezeichnen. Vor allem beim Rangieren wird der Bizeps ordentlich strapaziert. Das spüren wir heute nicht nur im Verhältnis zu modernen Fahrzeugen sehr deutlich, auch damals beklagten unsere Vorbesitzer das Problem. Dabei spielen hauptsächlich die etwas antiquierte Rollenlenkung nach Gemmer System und der vergleichsweise schwere Sechszyliner-Motor auf der Vorderachse eine Rolle.

Insgesamt jedoch sind die Fahreigenschaften des Alfa 2600 durchaus akzeptabel, es kommt auch heute noch ein hoher Fahrspaß auf, wenn man die richtigen Maßstäbe setzt: Der Alfa 2600 Spider war kein reinrassiger Sportwagen zum Kurven-Räubern mit dem kernigen Sound der kleinen Giuliettas, sondern ein großes, sportlich-elegantes, exklusives, vielleicht ein bisschen aristokratisches Reise-Cabriolet mit relativ großem Kofferraum, in dem wohlhabende Menschen von ihrem Palazzo in der Stadt entspannt zu ihrer Villa ans Meer fuhren. Das zeigt sich auch in der Sitzposition – man sitzt im Verhältnis zu anderen Sportcabrios relativ hoch, geradezu erhaben. Man hat einen guten Rundumblick und das Cockpit ist geräumig, fast Mercedes-mäßig. Es ist wie so oft in der Geschichte: Was zu seiner Zeit keinen Erfolg hat, wird schlecht verkauft und bleibt daher selten.

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Die Familientauglichkeit mit zwei kleinen Sitzen hinten und einem großen Kofferraum wollte Alfa auch in seinem Prospekt hervorheben, Die Kundschaft erwartete von Alfa aber vor allem Sportlichkeit.

Neben dem hohen Preis gab es jedoch noch andere Gründe, warum sich der Alfa 2600 Spider Touring so mäßig verkaufte, dass die Alfa Manager schon nach drei Jahren die Flinte ins Korn warfen. Ein wesentlicher Grund dürfte sein, dass die Karosserieform des Alfa 2600 Spider im Jahr 1962 nicht mehr neu war, dazu war sie dem Vorgänger Alfa 2000 Spider zu ähnlich, der schon seit fünf Jahren auf dem Markt war und damit ein bekanntes Gesicht. Die Optik des 2600 würde man heute eher ein Facelift nennen, eine etwas anders gestaltete Front, weniger verspielte Chromteile, die den Wagen etwas seriöser, kräftiger, erwachsener aussehen ließ. Eine Sensation, ein Hingucker mit völlig neuem, spektakulärem Aussehen war es allerdings nicht. Auch wenn der kräftige Sechs-Zylinder Motor sicher ein Zugpferd darstellte, das Design riss damals niemanden mehr vom Hocker.

Fürs weitere Verständnis muss man einen Exkurs in die vielschichtige Nachkriegs-Geschichte von Alfa Romeo machen und ein paar Entscheidungen des damaligen Alfa Managements um Orazio Satta Puliga, (später Giuseppe Luraghi), Konstrukteur Rudolf Hruska und Motorenchef Giuseppe Busso nachvollziehen.

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Neben den gelungenen Proporzionen des Wagens macht auch heute die Blick in den Motorraum immer wieder Freude. Es war die Zeit, als nicht nur die Karosserie, sondern auch die Technik schön zu sein hatte.

Nach dem zweiten Weltkrieg wandelte sich Italien relativ schnell von einem Agrarland in eine Industrienation: Bauern zogen in die Städte, viele gingen als Gastarbeiter nach Deutschland und schickten ihr gut verdientes Geld nach Hause, es entstand langsam eine Mittelschicht, die ihr Geld in neu gegründeten Industriebetrieben verdienten, Mode- und Schuhproduktion, Gastronomie und Tourismus boomten, es gab eine es hohe, manchmal ausufernde Bautätigkeit, die Motorisierung machte rasende Fortschritte, allein in den 50er und 60er Jahren wurden in Italien mehr Autobahnkilometer gebaut als in Deutschland. Die Auto-Industrie wuchs rasant, vor allem weil die Autofirmen wie Fiat, Alfa Romeo und Lancia preiswerte Fahrzeuge für breite Bevölkerungsschichten anboten. Während in Deutschland zum Beispiel nach den Kleinstwagen à la Isetta, Goggo und Messerschmitt die Autos für die breite Masse wie Volkswagen Käfer, Opel Rekord und Ford Taunus alle etwa 1200 Kubikzentimeter Hubraum hatten (nur Mercedes schwebte mit einen 180ern bis 300ern darüber) und damit der mittlere Automarkt sehr gleichförmig war, füllten die Italiener das gesamte Spektrum aus – Fiat mit 500, 600, 850 und 1100 Kubik, darüber Alfa und Lancia mit 1300, 1600, 1750, 1900 und später 2000 Kubik, Ferrari und Maserati im Luxussegment.

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Die ersten Prospekte von Alfa für den 2600 Spider waren im Innenteil noch schwarz-weiß gedruckt. Dennoch sieht man damit heute genau, wie der Wagen im Original aussah, was bei einer Restaurierung sehr hilfreich ist.

Die Ursache für diese vielfältige Motorenpolitik der Italiener lag in der Finanzgesetzgebung. In England zum Beispiel wurde der Kolbendurchmesser besteuert. Deshalb bauten die Autohersteller dort überwiegend langhubige Motoren mit schmalen Kolben um damit Steuern für die Kundschaft zu sparen. Der lange Hub hatte zur Folge, dass bei höherer Drehzahl die Kolbengeschwindigkeit sehr hoch wurde, weshalb englische Motoren fast nie über 5500 Touren drehten, dafür aber ein hohes Drehmoment im unteren Drehzahlbereich aufwiesen. Ganz im Gegensatz dazu Italien: Hier wurde nicht der Kolbendurchmesser, sondern der Hubraum insgesamt besteuert. Deshalb konstruierte man hier kleine Motoren mit kurzem Hub, die ihre Leistung nur bei hohen Drehzahlen brachten. Die Steuergesetzgebung hatte also einen entscheidenden Einfluss auf die Motorenentwicklung und die Charakteristik der Motoren in den einzelnen Ländern.

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Der Titel ersten Alfa Romeo 2600 Spider Prospektes. Die Zeichnung entsprach nicht genau dem echten Auto. Dass der Wagen von Touring stammte, wurde hier dezent weggelassen.

So war das auch bei Alfa Romeo. Traditionell war Alfa – wie oben erwähnt – vor dem Krieg eine exklusive Marke mit einerseits sehr sportlichen Fahrzeugen, die viele Rennen – unter anderem Le Mans – gewannen, andererseits Luxuskarossen für die Oberschicht mit 2300, 2500 und 2900 Kubikzentimetern Hubraum. Diese Epoche ging erst kurz nach dem Krieg mit dem Freccia d‘Oro zu Ende. Denn da hatte auch Alfa die Zeichen der Zeit erkannt und begann in der schnell fortschreitenden Motorisierung Fahrzeuge für die aufstrebende Mittelschicht zu bauen – die 1300er Giuliettas als Limousinen Coupés und Cabrios mit ihren sehr modernen, feurigen DOHC-Motoren (zwei oben liegenden Nockenwellen) waren genau richtig positioniert für diese Zielgruppe. Das sportliche Herz von Alfa Romeo, das „cuore sportivo“, hatte man glücklicherweise aus der Vorkriegszeit herübergerettet. Mit den Giuliettas hatte Alfa einen großen Hit gelandet – die Leistung dieser wendigen Flitzer lag mit 50 bis 90 PS weit über dem Durchschnitt anderer europäischer Fahrzeuge – ein VW Käfer hatte in den 60er Jahren noch 34 PS. Alfa war ganz klar der Vorreiter in Europa mit seiner Idee für sportliche, kleine Limousinen und Coupés. Woran erkennt man eine gute Idee? Daran, dass sie kopiert wird, zum Beispiel von BMW mit seinen sportlichen 02 Limousinen. Alfa lässt grüßen. Kein Wunder, dass man bis Ende der 50er Jahre schon weit über 100.000 Giuliettas verkauft hatte.

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Immerhin machten mehrere große Markenartikler Werbung, in der die Alfa 2600 Spider als Zugpferd dienen sollten. Doch auch das half den Verkaufzahlen nicht.

Über den erfolgreichen Giuliettas mit 1300 Kubik schwebte in den 50er Jahren nur ein einziges Fahrzeug als Reminiszenz an die exklusiven Vorkriegsjahre, der 1900er als Limousine und Coupé, gezeichnet und überwiegend gebaut bei der namhaften Karosserieschmiede Touring. Dieses kleine Segment für die obere Mittelschicht und die Oberschicht wollte man nicht vernachlässigen, auch aus Image-Gründen. Als der 1900er schließlich in die Jahre kam, gab man bei Touring einen Nachfolger in Auftrag, der mit einer auf 2000 Kubik aufgebohrten Version des 1900er Motors bestückt werden sollte. Carlo Felice Bianco Anderloni, der Chef von Touring, zeichnete also im Jahr 1956 eine völlig neue, für damalige Zeiten sehr moderne, lang gestreckte Karosse, die den Alfa-Chef Orazio Satta auf Anhieb begeisterte. Touring hatte Prototypen in der Superleggera Bauweise hergestellt. Bei dieser Bauart, die Touring schon in den 20er Jahren entwickelt hatte, wurde eine leichte Aluminiumkarosserie über einen leichten Gitterrohrrahmen gezogen. Der große Vorteil: Superleggera Karossen waren im Schnitt etwa 200 Kilo leichter als ein stählernes Pendant.

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Zweifellos ein attraktives Auto: Sogar die Firma Knorr Brühwürfel machte zu ihrem 60. Geburtstag Werbung mit dem Alfa Romeo 2600 Spider.

Bei der Vorstellung des neuen 2000 Spider Touring zuckte Alfa-Chef Orazio Satta jedoch zusammen, als es um die Kosten ging. Die Superleggera Bauweise war ihm zu teuer, er wollte nach der Erfahrung mit den Giuliettas Stückzahlen machen und deshalb musste der Preis erschwinglich bleiben. Also entschied er, dass der 2000er Spider aus einer preiswerteren, gepressten und verschweißten, selbsttragenden Stahlkarosse gebaut wurde – mit dem Effekt, dass sie etwa 200 Kilo schwerer wurde als es eine Superleggera-Version geworden wäre. Man hört und liest heute immer wieder, dass Oldtimer-Verkäufer einen 2000 oder 2600 Spider als Touring „Superleggera“ anbieten. Gehen Sie dem nicht auf den Leim – es gibt von diesen Baureihen keine Superleggeras, es sind alles selbsttragende, verschweißte Karossen aus Stahl.

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Trotz hohem Preis lud der Alfa Romeo 2600 Spider immer wieder zum Träumen ein - von ausgedehnten Touren in grandiosen Landschaften.

Mit diesen 200 Kilo mehr auf den Rippen hatte der schöne und für die damalige Zeit mit 115 PS eigentlich sehr leistungsstarke 2000er Motor allerdings einige Mühe. Der 1280 Kilo schwere Wagen beschleunigte damit nicht mehr so, wie man es von einem Alfa mit „cuore sportivo“ erwartete. Zwar verkaufte Alfa von dem 2000 Spider Touring in den knapp fünf Jahren zwischen der Vorstellung auf dem Turiner Autosalon 1957 und 1961 immerhin 3458 Stück, aber viele Kunden äußerten ihre Unzufriedenheit über eine gewisse Schwerfälligkeit des ansonsten schnittig aussehenden Wagens. Wie sollte man darauf reagieren? Am besten mit einem größeren und stärkeren Motor, den Alfa schon seit 1957 in der Schublade hatte – siehe Alfa Romeo, Motorenentwicklung.