Elegante, gestreckte Linien
Design by Touring: Interview mit Giovanni Bianchi Anderloni
Inhaltsübersicht
Uli Stanciu: Wer war der Designer der Karosserie des Alfa Romeo 2000 und 2600, wer hat die Karosserie wirklich gezeichnet?
Giovanni Bianchi Anderloni: Das war Rodolfo Bonetto, ein Enkel von Felice Bonetto, einem Rennfahrer, der viel für Alfa Romeo gefahren ist. Aber natürlich war mein Vater der technische Direktor, verantwortlich für das Design. Er hat den Auftrag vergeben, die Vorgaben für die Stilelemente gemacht und schließlich auch den Entwurf abgenommen. Bonetto war der Zeichner, er hat farbige Skizzen angefertigt. Ganz ähnlich wie Giorgio Giugaro, der auch mal in ähnlicher Form mit Touring zusammen gearbeitet hat, bevor er sich mit seiner Firma Ital-Design selbständig machte. Letztlich war also mein Vater verantwortlich für das Design. Sein Partner, der Anwalt Gaetano Ponzoni hat sich nur um die Verwaltung der Firma gekümmert.
Uli Stanciu: Welche Vorgaben für das Design hat denn Alfa Romeo gemacht?
Giovanni Bianchi Anderloni: Alfa Romeo hat natürlich einige Vorgaben gemacht. Wir mussten ein typisches „family feeling“ erzeugen, der Wagen musste sofort als Alfa erkennbar sein. Dazu gehörte natürlich die Front, das Gesicht des Autos, mit dem „Scudetto“ (italienisch für „Schildchen“, Alfa-Herz in der Mitte) und die seitlichen Lufteinlässe.
Das sind die Design-Merkmale, mit denen man schon von Weitem einen Alfa Romeo erkennen muss. Das hat sich ja bis heute nicht geändert, auch die aktuellen Alfas erkennt man sofort – im Gegensatz zu anderen Marken, zum Beispiel Opel, Toyota oder Hyundai, wo man Mühe hat die Marke sofort zu identifizieren.
Uli Stanciu: Wie war denn generell die Zusammenarbeit mit Alfa Romeo?
Giovanni Bianchi Anderloni: Nach 30 Jahren der Zusammenarbeit herrschte damals noch eine sehr gute und konstruktive Atmosphäre. Alfa wusste, was wir konnten und wir wussten, was Alfa wollte. Am Prototyp des Alfa 2000 Spider, der von der Form ja fast identisch zum 2600 war, machten wir immer wieder kleine Änderungen – zum Beispiel rückten wir das Lenkrad um zwei Zentimeter nach rechts. An den Fotos sieht man auch, dass wir kleine Retuschen an den Lufteinlässen machten, die per Hand in die Bilder eingezeichnet wurden. Das alles zeigt, dass wir immer wieder sehr gründlich und kritisch an der Form des Wagens gearbeitet haben um das Optimum zu erreichen. Der Wagen sollte nicht nur in den Augen der eigenen Designer überzeugen, sondern auch die Erwartungen der Techniker von Alfa Romeo erfüllen.
Giovanna Dorigati: Hat Alfa Romeo die Vorgaben für die vier Scheinwerfer gemacht, denn die waren ja neu bei Alfa. Erst später bekamen auch die Giulia Limousinen vier Scheinwerfer, die dort allerdings nebeneinander und nicht untereinander lagen.
Giovanni Bianchi Anderloni: Ich glaube nicht, dass Alfa da etwas vorgegeben hat. Ich bin sicher, dass das eine Entscheidung meines Vaters und seines Designbüros war. Die vier Scheinwerfer – zwei größere oben und zwei kleinere leicht versetzt darunter entsprachen einer Lösung, die schon beim Alfa Romeo 1900 in ähnlicher Form in der zweiten Serie aufgetaucht war. Dort waren die kleineren Scheinwerfer innen in die seitlichen Kühlergrills integriert.
Uli Stanciu: Manche sagen, die Alfa 2000 und 2600 Spider hätten eher dem amerikanischen Geschmack entsprochen….
Giovanni Bianchi Anderloni: ….. Nein! Wir haben nicht versucht den amerikanischen Geschmack zu treffen. Touring hat nie auf Mode-Erscheinungen gesetzt. Wir haben die Autos nicht mit Chromschmuck überladen. Das war nicht unser Stil. Nur ein einziges Mal, in den Jahren 1953 und 1954, haben wir den Hudson Italia nach amerikanischem Geschmack entworfen, aber davon gab es nur 25 Exemplare. Der Stil von Touring war immer modern, er folgte einer logischen Linie, die wir nie unterbrochen haben. Die Linien der Karosserien waren elegant und gestreckt. Jede Touring Karosserie kann man schon von weitem als Touring-Design erkennen.
Uli Stanciu: Gab es weitere Vorgaben von Alfa Romeo?
Giovanni Bianchi Anderloni: Natürlich hat Alfa Romeo die letzte Entscheidung über das Design getroffen, aber insgesamt haben sie sich da wenig eingemischt. Nur in einem Punkt hat Alfa klare Vorgaben gemacht – und das war für uns schmerzhaft: Sie haben sich beim 2000 und 2600 Spider gegen unser traditionelles System „Superleggera“ ausgesprochen, also das System von Aluminiumblechen über einem Gitterrohrrahmen. Sie wollten unbedingt, dass die Karosserien aus gepressten Stahlblechen konstruiert wurden. Das hatte natürlich Kostengründe. Wir hatten den Prototypen aus Aluminium gefertigt. Aber da haben sie sofort gesagt: Nein, das soll ein Auto für eine breitere Zielgruppe werden, nicht nur für Reiche. Also mussten wir die Kosten reduzieren.
Uli Stanciu: Der Alfa 2600 Spider war ein Nachfolger des 2000 Spider mit nur wenigen Änderungen. Welche waren das und welche Überlegungen lagen dem zugrunde?
Giovanni Bianchi Anderloni: Den 2600 Spider würde ich eine natürliche Evolution nennen. Der Vorgänger 2000 Spider war ja ein großer Hit. In den jahren 1958 bis 1961 hatten wir davon 3443 Exemplare gebaut, mehr als von den beiden anderen Versionen 2000 Sprint und Berlina zusammen. Dennoch wurden alle 2000er Versionen vom Markt kritisiert, weil der Motor einfach zu wenig Power hatte. Die Maschine war ja ein Derivat des alten 1900er Motors und da waren die Möglichkeiten ausgereizt. Deshalb hat Alfa den 2600er Motor mit 145 PS und 188 Nm Drehmoment entwickelt. Der Clou an diesem neuen Motor war nicht nur, dass der Wagen damit die „Schallmauer“ von 200 km/h erreichte, sondern vor allem die viel höhere Elastizität und Beschleunigung in den höheren Gängen.
Uli Stanciu: Zurück zu den Änderungen an der Karosserie….
Giovanni Bianchi Anderloni: Der Vertrag zwischen Alfa Romeo und Touring hatte eine stilistische Kontinuität der Fahrzeuge festgeschrieben, vor allem die Front musste sofort wieder erkennbar sein. Aus Kostengründen war allerdings auch festgelegt, dass die wichtigsten Blechteile, also Seiten, Türen und zum Beispiel die Windschutzscheibe gleich bleiben mussten. Der 2600 Spider konnte also nur eine Evolution sein und kein neues Auto. Mal abgesehen von der Aufhängung für den größeren 2600er Motor blieb die Plattform also genau gleich. Entgegen der landläufigen Meinung kamen die Weiterentwicklungen an der Karosse nicht plötzlich. Das permanente Bemühen meines Vaters und seiner Ingenieure führten zuerst zu einer Zwischenlösung (siehe Fotos rechts). Mein Vater und seine Designer waren aber von diesem Entwurf offenbar selbst nicht überzeugt und deshalb verschwand er in der Versenkung – dieser Protyp existiert leider nicht mehr.
Uli Stanciu: Welche Änderung wurden denn an der Karosserie gemacht und vor allem warum?
Giovanni Bianchi Anderloni: Zuerst einmal spielten da wieder Kostengründe eine Rolle. Die vordere Stoßstange wurde einteilig, weil das günstiger zu produzieren war. Aus dem gleichen Grund kam eine ziemlich drastische Reduzierung der Chromteile: Statt der zwei seitlichen Chromleisten wurde jetzt nur noch eine unter der Tür. Die angedeuteten Luftöffnungen hinter den vorderen Radhäusern wurden ganz weggelassen. Aber es gab auch notwenidge Änderungen, zum Beispiel die beiden kleineren Luftöffnungen auf der Motorhaube wurden ersetzt durch eine größere, die weiter nach vorne reichte um Platz für den größeren Motor zu schaffen. Und die hinteren Kotflügel wurden zum Heck hin ein wenig nach unten gezogen, weil das dem Wagen eine harmonischere Linie verschaffte.
Uli Stanciu: Hat Touring die Karosserie komplett selbst gebaut? Wie war der Fertigungsprozess? Welche Arbeiten wurden bei Touring durchgeführt, welche bei Alfa Romeo?
Giovanni Bianchi Anderloni: Beim 2600 Spider haben wir die äußeren Karosserien komplett gefertigt. Aber auch vorher, beim 2000 Spider, wurden nur wenige Blechteile außer Haus gegeben, zu den Firmen Boano oder Boneschi – vor allem, wenn Zeitdruck herrschte. Das war noch in unserer alten Fabrik in der Via da Breme in Milano. Da hatten wir wenig Platz und meist zu wenig Angestellte. Zeitweise wurden sogar Rahmen und Karosserien im Freien gelagert. Aber das wurde ab 1. Januar 1962 anders. Den 2600 Spider haben wir durchweg in unserem neuen Werk in Nova Milanese gebaut. Die Bleche wurden ganz ähnlich wie heute in großen hydraulischen Pressen gefertigt und dann an dem Stahlrahmen angeschweißt, der von Alfa Romeo geliefert wurde….
Uli Stanciu: ….aah, der Rahmen für die Karosserie wurde von Alfa geliefert? Wie ist das zu verstehen?
Giovanni Bianchi Anderloni: Alfa hat uns die Plattform des Wagens geliefert. Dazu gehörte die ganze tragende Grundstruktur aus Stahl, also der gelochte untere Rahmen, die Achsaufhängungen, die Motorenaufhängung, der Kardantunnel, die inneren Schweller, der untere Teil des Kofferraums. Wir haben dann die äußere Karosserie, also unter anderem Kotflügel, Hauben und Türen montiert.
Uli Stanciu: Wurden denn diese äußeren Karosseriebleche ausschließlich bei Touring gepresst?
Giovanni Bianchi Anderloni: Ja, und zusätzlich haben wir alle Verstärkungen produziert, also die Elemente, an denen die Karosseriebleche befestigt wurden. Für all diese Teile hatten wir Formen, Holzmodelle oder manchmal auch schon welche aus faserverstärktem Kunststoff, über die die Bleche dann gepresst wurden. Dieser Prozess unterscheidet sich kaum von einer Karosserieproduktion heute.
Uli Stanciu: Wie wurden dann die Karosseriebleche und Verstärkungen mit der Grundstruktur zusammengesetzt?
Giovanni Bianchi Anderloni: Sie wurden geschweißt, genauso wie heute, nur noch nicht mit Robotern, sondern per Hand. Wir hatten dazu die berühmte Richtbank (banco di riscontro) mit allen Messpunkten. Auf diese Richtbank kamen die Fahrzeuge in diversen Produktionsstadien, es wurden immer wieder die Maße an den kritischen Stellen genommen. Wenn diese Punkte innerhalb der Toleranz lagen, ging es zum nächsten Produktionsprozess, wenn nicht, dann wurde die Karosse nochmal zurück gebracht zum Anpassen. Erst wenn alles – außer den beweglichen Teilen wie Türen und Hauben – montiert war, ging es zum Lackieren.
Uli Stanciu: Gab es vor der Lackierung denn eine Rostschutzbehandlung?
Giovanni Bianchi Anderloni: Ja, sicher. Erst wurden die fertigen Karosserien gereinigt, dann kamen sie in ein chemisches Bad, mit dem die Oxidadionsprozesse gestoppt wurden. Erst danach folgte die Grundierung, die noch von zwei oder drei Leuten per Hand gemacht wurde. Und schließlich ging es in die Lackierstraße zur Endlackierung mit Nitrolack. Im Prinzip wird das alles heute noch so gemacht, mal abgesehen von der Verwendung von Nitrolack, was ja seit einiger Zeit wegen Umweltschädlichkeit per Gesetz verboten ist. Auch wenn unsere Produktion damals sehr professionell war, ähnelte sie eigentlich eher dem, was heute gute Restaurationsbetriebe machen. Wir hatten allerdings eine sehr moderne Lackieranlage, in der wir 80 Autos pro Tag lackieren konnten, natürlich auch für andere Marken.
Uli Stanciu: Die Unterseite des Wagens, Motorraum, Innenraum und Kofferraum waren mattschwarz lackiert. Wurde das vorher gemacht?
Giovanni Bianchi Anderloni: Ja, auch die Radhäuser waren schwarz. Das war eine geräuschdammende Farbe, die das Vibrieren und Dröhnen der Bleche verhindern sollte. In dieser Farbe war deshalb Bitumen enthalten, was der Oberfläche eine rauhe Struktur gab.
Giovanna Dorigati: Wie viele Leute arbeiteten bei Touring?
Giovanni Binachi Anderloni: Normalerweise waren es zwischen 400 und 450. Im neuen Werk in Nova Milanese wurden es aber weniger, weil wir viel mehr automatisiert hatten – das Pressen der Blecke, die Lackierung, und vieles mehr. Es gab Spezialisten unter den Arbeitern, einer machte nur den Kotflügel rechts, ein anderen nur den Kotflügel links, ähnlich war es bei den Türen. Wir hatten eine Kapazität von maximal 80 Fahrzeugen pro Tag, normalerweise waren es aber zwischen 40 und 50.
Uli Stanciu: Haben Sie denn auch die gesamte Technik eingebaut?
Giovanni Bianchi Anderloni: Nein, wir haben nur die Karosserien mit Lackierung, elektrischer Anlage, Chromteilen, Sitzen, Innenausstattung und Stoffdach, aber ohne Antriebstechnik zusammengebaut. Dazu hatten wir eine Fertigungsstraße, auf die Autos von einer Montagestation zur nächsten transportiert wurden. Vor dem Krieg und teilweise auch noch in den fünfziger Jahren waren ja alle Fahrzeuge von der Ausstattung her gleich. Dann aber kamen immer mehr Gesetze, die für fast jedes Land eine andere Ausstattung verlangten. Zum Beispiel die Instrumente: Für Amerika mussten wir Meilentachos einbauen, für die meisten europäischen Länder Kilometertachos. Oder die Scheinwerfer, die für Amerika auch anders sein mussten. Oder die Rechtslenker für England und Australien. Jedes Auto wurde also mit einem Dokument versehen, quasi einem Laufzettel, der von Alfa geliefert wurde, auf dem genau verzeichnet war, wie der Wagen ausgestattet wurde. Eigentlich wurden nur die Alfas für den italienischen Markt komplett bei uns montiert.
Uli Stanciu: Und wie ging es dann weiter?
Giovanni Bianchi Anderloni: Danach gingen die Karossen ohne Achsen und Räder mit einem Transportgestell auf Lastwagen zu Alfa Romeo. Dort wurden Motor, Getriebe, Kardan, Achsen und Federung eingebaut. Anfangs haben wir den Werdegang jedes Fahrzeugs genau aufgezeichnet, bis hin zum Erstbesitzer. Später wurde das jedoch nicht mehr gemacht, so dass wir beim 2600 Spider heute leider nicht mehr wissen, welcher Motor mit welcher Motornummer in welche Karosserie eingebaut wurde. Es gibt also keine „matching numbers“.
Diese Zweiteilung der Montage, zum größeren Teil bei Touring, zum kleineren Teil bei Alfa Romeo, hatte aber auch Nachteile. Es kam immer mal wieder vor, dass bei Alfa Romeo, beim Einbau des Motors, der Arbeiter mit dem Kran gegen den Kotflügel stieß, wenn der Motor etwas pendelte. Wegen dieser Beulen oder Kratzer mussten diese Autos dann zu uns zurück gebracht werden, damit wir das wieder reparierten oder ausbesserten.
Uli Stanciu: Wurde für den Alfa Romeo 2600 Spider eine spezielle Zielgruppe definiert?
Giovanni Bianchi Anderloni: Die Zielgruppe wurde von Alfa Romeo bestimmt, Alfa musste die Autos ja verkaufen. Schon vor dem Auftrag an Touring wurde das festgelegt. Die Zielgruppe für den 2600, auch für den Sprint und die Berlina, lag eindeutig im gehobenen Segment, in der Oberklasse. Das war sicherlich kein Auto, das man unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gekauft hätte. Das Image des Wagens war damals sehr gut, der Spider hatte ja zum Beispiel wesentlich mehr Erfolg als die Limousine. Das lag an seinem charakteristischen Design, an seinem italienischen Stil und natürlich auch an dem großen Sechszylinder-Motor.
Uli Stanciu: Der 2600 Spider bekam den ersten Sechszylinder bei Alfa nach dem Krieg….
Giovanni Bianchi Anderloni: Ja, Alfa wollte nach dem Krieg – speziell mit der Giulietta – ein viel breiteres Publikum erreichen, nicht nur die reichen Leute. Das ist auch zweifellos gelungen. Man hat sehr viel Wert auf ein sportliches und junges Image gelegt. Insofern stand Alfa im Gegensatz zu Lancia – dort wurden vielmehr Fahrzeuge für die Herrschaften gebaut, nicht nur die Reichen, aber Leute mit Kultur, Ärzte, Anwälte…. Der Alfa Romeo 2600 Spider sollte sicher hier eine Brücke bauen – attraktiv für ein breiteres Publikum, aber doch mit hohem Prestigewert, deutlich höher als zum Beispiel die kleine Giulia Spider. Es war zu seiner Zeit der große, starke, aristokratische Alfa.
Uli Stanciu: Wie würden Sie das Image des Alfa 2600 Spider im Verhältnis zu den Sportwagen anderer Marken bewerten?
Giovanni Bianchi Anderloni: Die direkten Konkurrenten waren sicher der Lancia Flaminia und der Maserati 3500. Der Lancia war bei ähnlichen Fahrleistungen jedoch teurer und der Maserati lag von der Leistung und vom Preis noch eine Klasse höher. Bei den ausländischen Marken war sicher der Mercedes 190 SL ein direkter Konkurrent, Porsche war damals ja nur ein etwas stärkerer Volkswagen. Bei den Engländern kommen als Konkurrenten gewisser Weise auch Jaguar oder Aston Martin in Frage, obwohl die anders positioniert waren. Der Jaguar E war sportlicher, der Aston Martin, den wir ja auch entworfen haben, exklusiver. Eindeutig darunter rangierten MG, Triumph oder Sunbeam. Der Alfa Romeo 2600 Spider war etwas weniger sportlich, er war eher ein starker, komfortabler Reisewagen. Damit ist man keine Rennen gefahren. Erst später habe ich manchmal welche gesehen, bei denen man einen Überrollbügel eingebaut hatte – schrecklich!
Giovanna Dorigati: Wie würden Sie den Wert der Alfa Romeo 2600 Spider heute einschätzen?
Giovanni Bianchi Anderloni:
Das Fahrzeug hat in den letzten Jahren einen enormen Preissprung gemacht. Bis vor einiger Zeit waren die Kosten für die Restaurierung eines 2600 im Verhältnis zum Kaufpreis einfach noch sehr hoch. Deshalb haben viele kommerzielle Anbieter oberflächliche „Verkaufsrestaurierungen“ gemacht, also qualitativ schlechte Arbeit, um mit mehr Schein als Sein einen möglichst hohen Verkaufspreis zu erzielen. Aber die Zeit ist vorbei. Auf den großen Messen habe ich nur noch ganz wenige 2600 Spider gesehen und da wurden sogar schrottreife Autos für sehr hohe Preise angeboten. Inzwischen haben sich die Preise so entwickelt, dass sich sich eine professionelle Restaurierung lohnt. Sie haben da mit Ihrem Wagen eine gute Investition geleistet. Auch wenn allein die Restaurierung die 50.000 oder 60.000 Euro übersteigen dürfte. Aber eines Tages werden die Preise von den Autos mit der besten Restaurierung bestimmt.
Uli Stanciu: Der Alfa Romeo 2600 Spider war der letzte Serien-Alfa, den Touring gebaut hat.
Giovanni Bianchi Anderloni:
Ja, leider mussten wir im Jahr 1966 Konkurs anmelden. Das hatte aber nicht direkt etwas mit diesem Auto zu tun. Immerhin haben wir von Frühjahr 1962 bis Ende 1965 genau 2255 Spider gebaut, 103 davon mit Rechtssteuerung, die ersten 1311 Exemplare mit Trommelbremsen hinten, danach dann mit vier Scheibenbremsen. In Italien haben wir sogar mehr 2600 Spider verkauft als vom vorigen 2000 Spider. Das Auto war also eigentlich ein Erfolg!
Uli Stanciu: Warum kam dann der Konkurs?
Giovanni Bianchi Anderloni: Nun, der Niedergang des 2600 Spider hatte zu tun mit einem weiteren, neuen Modell, das Alfa Romeo 1962 auf den Markt brachte. Der neue Star am Alfa-Firmament war ein Vierzylinder, die Giulia TI und eine ganze Reihe von Varianten davon. Dieses Auto machte Alfa zu einem der erfolgreichsten Hersteller im Segment der Mittelklassewagen. Leider hat Alfa Romeo danach sein Versprechen nicht gehalten uns weitere Aufträge zu geben. Durch dieses Versprechen hatten sich mein Vater und sein Partner Gaetano Ponzoni moralisch verpflichtet gefühlt ihre
Investitionen in das neue Werk in Nova Milanese noch zu erhöhen. Inzwischen hatte sich aber ein Teil des Alfa Romeo Managements gegen Touring gestellt – zum Vorteil der Turiner Karosseriefirmen. Den Produktionsauftrag für die Giulia GT gab man an Bertone. Gleichzeitig bekam Pininfarina den Zuschlag zur Entwicklung der neuen Guilia Sprint und der Giulia Spider, der 1966 als „Duetto“ oder „Ossodisepia“ auf den Markt kam.
Für Touring blieben dann nur noch „Krümel“ übrig: Der ursprüngliche Auftrag über 1000 Alfa GTCs, einer offenen Variante der Bertone GTs, wurde nach 600 Exemplaren gestoppt, nachdem Alfa Romeos Testabteilung zahllose Streitigkeiten anzettelte, was einem vorsätzlich geplanten Boykott gleichkam. Verärgert und verzweifelt über ungerechtfertigte Lieferverzögerungen durch Alfa bei den Karosserien, die bei uns bearbeit werden sollten, hatte Gaetano Ponzoni ein hitziges Telefongespräch mit Alfas Präsident Giuseppe Luraghi. Das besiegelte dann schließlich den endgültigen und irreparablen Bruch aller Bindung zum wichtigsten Touring-Kunden der Vergangenheit.
Das alles passierte 1965, genau zu dem Zeitpunkt, als wir ohnehin in einer finanziellen Krise steckten. Denn ein weiterer Auftrag der englischen Roots-Gruppe (Hilman und Sunbeam) kam nicht zustande, weil diese Firma Bankrott gegangen war. Bis Ende 1966 versuchten mein Vater und sein Partner Ponzoni noch neue Kunden zu finden, aber die finanzielle Situation war schon so prekär, dass die Carrozzeria Touring
am 31. Dezember 1966 schließen musste.