SILBERNE HOCHZEIT
Lackierung: Interview mit Meister Uli Becker
Inhaltsübersicht
Die Lackierung eines klassischen Fahrzeugs sieht man als Erstes, wenn man auf das Auto zugeht: Sie ist entscheidend für den Gesamteindruck, den später alle Betrachter haben werden. Sieht man hier sofort kleine Dellen, Läufer, Staubkörner oder Orangenhaut, dann kann man häufig darauf schließen, dass auch andere Gewerke nicht perfekt ausgeführt wurden. Lackierermeister Uli Becker erklärt in diesem Interview wie durch perfekte Lackiervorbereitung, akribische Kontrolle der Flächen und präzise Arbeit bei unserem seltenen Alfa Romeo 2600 Spider ein optimales Ergebnis erzielt wurde.
Kaum jemand kennt die Material- und Verfahrenstechnik beim Lackieren besser als er: Uli Becker war lange Jahre Berater eines großen Lackherstellers für über 200 Lackierereien in Süddeutschland, bevor er seine eigene Lackiererei eröffnete und zu großem Erfolg führte. Er lackierte nicht nur berühmte klassische Fahrzeuge des BMW-Museums, sondern auch unseren metallic-silbernen Alfa Romeo 2600 Spider. Hier verrät er seine Geheimnisse für die perfekte Lackierung.
Uli Stanciu: Welche Kriterien gibt es für eine gute Oldtimer Lackierung?
Uli Becker: Man muss zuerst Mal definieren, welche Art von Oldtimer man hat und welche Ansprüche man generell an die Lackierung stellt. Wer zum Beispiel einen alten Opel Kadett restaurieren möchte, wird vermutlich andere Kriterien anlegen als jemand, der einen seltenen Alfa, einen Jaguar oder einen Ferrari besitzt. Im High-End Bereich wird man vermutlich heute eine Lackierungsqualität anstreben wollen, die es damals im Original nie gab. Dein Alfa zum Beispiel war früher im Original nie so schön. Heute möchte man einfach durch eine extrem gute Lackierung die Besonderheit des Fahrzeugs hervorheben.
Uli Stanciu: Die Frage ist also zuerst mal: Will man das Fahrzeug in seinen Urzustand der Werksauslieferung zurückversetzen oder will man heute einen möglichst perfekten Oldtimer mit einer Lackierung, die es so früher gar nicht gab? Wohin tendierst Du persönlich?
Uli Becker: Da kommt es darauf an in welchem Zustand das Auto ist. Wenn man ein passables Original hat, das 40 Jahre nicht bewegt wurde, fahrbereit ist, kaum Roststellen hat und bei dem Lack nur verwittert ist, dann würde ich sagen: Der gehört überhaupt nicht neu lackiert. Da erzählt auch der Lack eine Geschichte – unter anderem über die Qualität, die damals möglich war.
Uli Stanciu: Wie sehr hat sich denn in den letzten 50 Jahren die Qualität der Lacke entwickelt?
Uli Becker: Während meiner Ausbildung in den siebziger Jahren kam neue Zweikomponenten-Lacke auf, die chemisch aushärteten, mit denen man schon eine ganz andere Brillanz erreichen konnte als vorher. Diese Lacke hatten eine ganz andere Härte, man konnte sie schon nach wenigen Stunden polieren, Staub oder Läufer rausschleifen konnte. Dadurch erreichte man einen viel höher Glanz-Grad als vorher.
Uli Stanciu: Gilt das auch für Metallic-Lacke, die es ja auch vor den siebziger Jahren schon gab?
Uli Becker: Da war früher das Problem noch größer. Wenn man da ein Staubkorn rausschleifen wollte, hat man auch die Metallteile in der Oberfläche weggeschliffen. Wenn man so lackiert hat, dann musste man den ersten Gang nass auftragen um eine Haftung zum Untergrund zu bekommen, im zweiten Gang hat man eine Schicht aufgebaut, die aber sehr wolkig war und dann musste man nach einigen Minuten nochmal reinnebeln um eine gleichmäßige, wolkenfreie Oberfläche zu bekommen. Das hat aber nicht einmal annähernd so geglänzt wie ein heutiger Zweischichtlack. Heute will man jedoch vor allem bei teuren Oldtimern auch eine perfekte Lackierung haben – absolut, staubfrei, wolkenfrei und hochglänzend.
Uli Stanciu: Mass man dann heute keine Wartezeiten für die Austrocknung des Lacks einhalten?
Uli Becker: Um auszuschließen, dass das Material nicht nachfällt, dass später keine kleinen Wellen zu sehen sind, braucht auch heute noch eine hundertprozentige Durchtrocknung des Materials. Also muss man dem Lack Zeit geben die Lösungsmittel freizusetzen, am besten zwei Wochen – um eine ganz stabile Lackierung zu haben.
Uli Stanciu: Wozu würdest Du heute einem Kunden mit einem hochwertigen Oldtimer raten, wenn – so wie bei unserem Alfa – das Fahrzeug mehrfach umlackiert wurde, Bleche gewechselt wurden und der Wagen einigermaßen vergammelt war? Denn so eine alte Lackierung wie in den sechziger Jahren würde man ja heute gar nicht mehr machen können, schon aus Umweltgründen.
Uli Becker: Wenn man einen neuen Aufbau macht, mit komplett entlackter Karosserie und teilweise neuen Blechen, dann sieht der Aufbau optimalerweise so aus: Der Wagen sollte in einem Tauchbad phosphatiert oder besser noch KTL grundiert werden. Nur damit weiß man, dass die Grundierung auch jeden kleinsten Winkel erreicht. Nur so erreicht man einen guten Korrosionsschutz wie bei heutigen Neuwagen. Danach wird diese KTL-Grundierung auf den großen Oberflächen – Motorhaube, Kotflügel, etc. – nochmal runter geschliffen, spritzt dann da drauf einen EP-Füller, der chromathaltig sein sollte. Aus umwelttechnischen Gründen sind solche Füller heute nur noch bei Oldtimern erlaubt. Man darf für historische Fahrzeuge auch heute noch historische Materialien verwenden. Es ist schwer so etwas heute aufzutreiben, weil es nur wenig Bedarf gibt. Warum sollte der Füller chromathaltig sein? Weil er einen sehr guten Korrosionsschutz hat und weil es der einzige Füller ist, den man überspachteln kann. Auf diesen Füller, wird dann erst der Polyesterspachtel aufgebracht.
Uli Stanciu: Muss denn unbedingt gespachtelt werden?
Uli Becker: Man wird bei einer Oldtimer-Restaurierung ohne Spachtel nicht auskommen. Da müsste man das Blech an allen Ecken und kanten so unglaublich gut ausrichten, dass es unbezahlbar würde. Eigentlich ist das gar nicht möglich. Kleinste Dellen oder Kanten muss man mit Polyesterspachtel glätten. Das ist auch nicht verwerflich. Die Polyesterschicht darf halt nicht zentimeterdick sein wie bei vielen schlechten Restaurierungen, aber zwei oder drei zehntel Millimeter sind absolut okay.
Uli Stanciu: Wie geht’s dann weiter?
Uli Becker: Mit sehr viel Handarbeit. Man muss immer wieder schleifen, glänzenden Silikonentferner aufsprühen und im Gegenlicht permanent kontrollieren, ob es eventuell noch Unebenheiten gibt. Danach trage ich einen Spritzspachtel auf, der extrem feinporig ist, damit alle gröberen Poren, die im Polyester-Untergrund enthalten sind, geschlossen werden. Dann hat man nochmal die Möglichkeit auf Fläche zu schleifen. Und schließlich würde ich nochmal einen EP-Füller auftragen, denn der ist extrem hart und lässt sogenannte Nachfaller des Untergrunds gar nicht zu. Ich würde dann noch einmal mit dem weichen Schleifklotz nass nachschleifen. Das ist zwar mühsam, bringt aber das allerbeste Ergebnis.
Uli Stanciu: Du hast unseren Alfa danach erst einmal schwarz glänzend lackiert. Warum?
Uli Becker: Nur in schwarz glänzendem Decklack, einem Zweikomponenten-Acryllack, kann man im Gegenlicht auch die kleinsten Unebenheiten noch erkennen. In anderen Farben, zum Beispiel weiß oder rot kommen minimale Unebenheiten meist gar nicht zum Vorschein. Wer also wirkliche Perfektion will, sollte zuerst schwarz lackieren, die Flächen beurteilen und dem Fahrzeug dann Zeit geben, damit sich der Aufbau setzen kann. Diese Zeit kann man gut nutzen um Montagearbeiten zu machen, also Achsen und Motor einzubauen. Sollte in dieser anfänglichen schwarzen Lackierung nach einigen Wochen noch Unebenheiten auftauchen, dann kann man immer nochmal nacharbeiten.
Uli Stanciu: Nach unserer Technik-Montage beim schwarzen Fahrzeug hast Du den Wagen dann vor diese Dellen-Reflektoren gestellt…
Uli Becker: … ja, ich mache das immer. Das ist eine von hinten anstrahlte, schwarz-weiß gesteifte Leinwand. An den Streifen, die sich im schwarzen Lack spiegeln, erkennt man genau die Form des Autos. Unregelmäßigkeiten in der Fläche erkennt man damit sofort.
Uli Stanciu: Dieser Decklack diente also nur zur Überprüfung der Flächen.
Uli Becker: Ja, dieser schwarze Decklack besteht ja aus demselben Material wie danach der endgültige Lack. Er hat also dieselben Eigenschaften. Sollten darin noch irgendwelche Nachfaller oder Pickel entstehen, kann man im Notfall nochmal nacharbeiten und damit die allerbesten Ergebnisse erzielen. Sollte in diesem schwarzen Lack nach einigen Wochen jedoch kein Makel zu sehen sein, dann kann man davon ausgehen, dass auch später nichts mehr passiert.
Uli Stanciu: Angenommen, es treten doch noch Unebenheiten auf?
Uli Becker: Dann kann man problemlos nacharbeiten, also nochmal füllern und schleifen. Natürlich wird vor der endgültigen Lackierung in jedem beliebigen Farbton der schwarze Lack nochmal komplett angeschliffen, so dass er dann mattschwarz erscheint. Dieser Vorlack hat bei Eurem silbernen Alfa auch noch den Vorteil, dass der Untergrund exakt gleich ist, also das bei getrennt lackierten Teilen wie Türen und Motorhabe die silberne Farbe überall absolut gleich ist und eine besondere Strahlkraft bekommt. Die Brillanz von Silber wird auf schwarzem Grund besonders gut.
Uli Stanciu: Wie sähe das bei anderen Farben aus?
Uli Becker: Bei Gelb oder Weiß wäre das zum Beispiel schwierig. Neue Lacke decken einfach nicht mehr so gut wie die alten, weil Blei und Chrom nicht mehr verwendet werden dürfen. Bei einem gelben Decklack wäre es zum Beispiel gut einmal ganz dünn weiß zu spritzen und dann erst den gelben Ton aufzutragen.
Uli Stanciu: Das heißt: Je nach Endfarbe muss der Vorlack in seiner Farbe abgestimmt werden.
Uli Becker: Genau. Und ganz wichtig: Man sollte dem Vorlack mindestens zwei Wochen Zeit geben. Schnell-Restaurierungen nach dem Motto „Das Auto muss morgen fertig sein“ gehen meist in die Hose.
Uli Stanciu: Wie lange dauert denn eine perfekte Lackierung gesamt?
Uli Becker: Also mit der kompletten Lackiervorbereitung, Spachteln, Schleifen, Kontrollieren und allen Wartezeiten sollte man mit einem halben Jahr rechnen.
Uli Stanciu: Was kostet dann so eine perfekte Lackierung wie von Dir beschrieben?
Uli Becker: Das hängt natürlich vom jeweiligen Betrieb, seinen Strukturen und den Löhnen ab. Mit 200 Stunden Arbeitszeit muss man schon rechnen. Generell kann man aber sagen: Die letzten zehn Prozent der Qualität kosten genauso viel wie die ersten 90 Prozent.
Uli Stanciu: Ich habe Dich beim Lackieren beobachtet und gesehen mit welcher Ruhe und mit welchen flüssigen Bewegungen den Lack aufgetragen hast.
Uli Becker: Am besten macht man eine Top-Lackierung ohne jeden Stress und an einem Tag, an dem man nichts mit dem üblichen Alltagsgeschäft zu tun hat. Die endgültige Lackierung nimmt zwar vom gesamten Zeitaufwand einer Restaurierung nur einen winzigen Bruchteil ein, maximal drei bis vier Stunden. Aber bei dieser Tätigkeit muss man wirklich höchst konzentriert sein, denn hier entscheidet sich alles – die gesamte Qualität, die später sichtbar ist. Spritzt man zu viel Material, dann laufen Tropfen runter, spritzt man zu wenig, dann entsteht eine Rauigkeit. Man muss sich also zuerst mal mit der Form des Autos auseinandersetzen. Dazu braucht man Ruhe und sollte auf keinen Fall von äußeren Einflüssen gestört werden. Zuerst wischt man das Auto gründlich mit Silikonentferner ab, man hat also ein Tuch in der einen Hand und in der anderen die Sprühflache mit dem Silikonentferner und putzt quasi den Wagen ganz langsam ab. Dabei befühlt man das Fahrzeug von vorne bis hinten. Man kennt danach jede Ecke, jede Griffmulde, jeden Schlitz, jede Kante. Während dieses Abwischens deckt man schon darüber nach, wie man das Fahrzeug lackiert. Man fängt von unten an über die Rundungen, dann in die Kanten, die Türausschnitte und so weiter. Man muss das Auto also mental komplett verinnerlicht haben, das zeichnet einen guten Lackierer aus. Natürlich muss die Spritzpistole perfekt gereinigt sein, man muss einen sauberen Anzug anhaben, die Lackierkabine eine starke Absauganlage haben. Das sind Voraussetzungen. Dann erst kommt die Farbe in die Spritzpistole, zieht zweimal ab und dann sprüht man das Auto in einem durch, genauso wie man es vorher abgewischt hat. Man kommt dann in eine Art „Flow“, man weiß eigentlich schon vorher beim Reinigen, ob einem die Lackierung gelingen wird oder nicht. Denn unwiederholbar ist der Lack dann da drauf. Ich kann Dir sagen: Bei deinem Alfa hat es Spaß gemacht und das Ergebnis ist wirklich optimal.
Uli Stanciu: Es kommt also nicht nur auf die perfekte Vorbereitung, sondern auch stark auf die professionelle Einstellung des Lackierers an.
Uli Becker: Wenn man einen Lackierer beobachtet, der in der Kabine hektische Bewegungen macht – da sollte man nicht hingehen. Lackieren ist eine Kunst. Dazu braucht man Erfahrung, Ruhe und Gelassenheit.
Uli Stanciu: Kommen wir mal zum Thema Farbe Soll man seinen Oldtimer unbedingt in der Originalfarbe der Werksauslieferung lackieren? Was denkst Du dazu?
Uli Becker: Das ist wirklich eine schwierige Frage für mich, da ich selber einen Oldtimer besitze, der nicht mehr die Originalfarbe hat. Ich persönlich bin der Meinung, dass man möglichst die Originalfarbe verwenden sollte oder zumindest eine Farbe, in der dieser Fahrzeugtyp ehemals ausgeliefert wurde. Vor allem bei seltenen Fahrzeugtypen hat man ja fast historische Zwänge, da würde ich unbedingt die Originalfarbe verwenden. Bei einem VW Käfer oder einer Citroen DS, die 1,2 Millionen Mal hergestellt wurde, ist das vielleicht nicht so wichtig.
Uli Stanciu: Also nicht irgendeine Fantasiefarbe?
Uli Becker: Nein, das geht gar nicht. Wurde ein Fahrzeug damals nur in fünf Farbtönen angeboten, dann muss ich mich entscheiden, welchen davon ich haben möchte. Etwas anderes würde ich nicht machen.
Uli Stanciu: Wenn ein Auto im Lauf seiner Geschichte umlackiert wurde und man findet nach dem Zerlegen vielleicht nur noch wenige Reste des Originallacks hinter dem Armaturenbrett – wie bekommt man den Farbcode dieses originalen Lacks heute?
Uli Becker: Zuerst muss man mal recherchieren, ob die Farbe einen Namen oder Code hatte. Das findet man meist bei den Klassikabteilungen des Herstellers heraus. Gibt es da eventuell auch noch Mischrezepte? Viele Farbhersteller produzieren auch heute noch bekannte Farben oder haben Mischrezepte für Oldtimer. Die Firma Glasurit zum Beispiel liefert heute noch Farbtöne aus den fünfziger Jahren. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere: Wenn man an der Karosserie noch alte Farbreste findet, die groß genug sind, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel, dann kann man den Farbton einscannen. Dadurch erhält man ebenfalls ein Mischrezept.
Uli Stanciu: Wie wird die Farbe denn gemessen?
Uli Becker: Das Gerät nennt sich Spektrometer, das errechnet anhand von Lichtreflexen die einzelnen Komponenten des Farbtons mit einer sehr hohen Trefferquote.
Uli Stanciu: Wenn – wie bei unserem Alfa – keinerlei originalen Farbreste mehr zu finden sind und man beim Hersteller keinen Farbcode mehr bekommt, weil es wie bei uns eine Sonderfarbe war was macht man dann?
Uli Becker: Dann muss man schauen, ob man irgendwo noch gleichfarbige Autos oder zumindest Fotos davon findet. Das ist natürlich schwierig, denn es gibt zum Beispiel 2000 verschiedene Silber-Töne. Aber bei Dir hatten wir ja wenigstens die Originalfotos des Erstbesitzers und das Hardtop, das ebenfalls in silber lackiert war. Daran konnten wir uns orientieren. Anhand der Farbe des Hardtops konnten wir mit dem Spektrometer ebenfalls feststellen, dass diese Farbe mal von Alfa, Lancia und Maserati verwendet wurde. Auf jeden Fall sollte man vor der Lackierung eine Probe machen auf einem Stück Blech oder einem alten Kotflügel. Da kann man den Farbton später noch anpassen bis es optisch dem Original am nächsten kommt.