Come un Violino

DER MOTOR DES ALFA 2600 SPIDER

Inhaltsübersicht
Berühmter Chef der Alfa Romeo Motorenentwicklung: Giuseppe Busso

Die Geschichte des 2600 Spider mit deutlich kräftigerem Sechszylinder-Motor als Nachfolger des 2000ers begann bei Alfa schon im Jahr 1957 – allerdings anfangs eher unbeabsichtigt. Alfa Romeo wollte in der Wirtschaftswunder-Zeit wieder an Glanz und Gloria der Vorkriegsära anschließen, als man hauptsächlich den exklusiven Markt der Oberschicht bediente. Dazu kam, dass man diese prestigeträchtige Zielgruppe nicht den Mitbewerbern Lancia und Maserati oder ausländischen Marken wie Mercedes oder Jaguar kampflos überlassen wollte. Der neu entwickelte Motor wurde das Glanzstück des Alfa 2600 – er lief, wie die Italiener liebevoll sagen – come un violino.

Technische Zeichnung des neuen 2600 Motors im im Querschnitt.

Es war 1956: Der damalige Alfa-Chef Orazio Satta gab dem Motorenentwickler Giuseppe Busso den Auftrag einen neuen Sechszylinder zu entwickeln, der zudem in Rennen eingesetzt werden und bis zu 8000 Umdrehungen leisten sollte. Busso leitete diesen Auftrag weiter an den jungen, gerade eingestellten Ingenieur Mario Ciaccia weiter, der daraufhin allerdings nicht einen völlig neuen Motor konstruierte, sondern im Prinzip den erfolgreichen, vorhandenen Vierzylinder Reihenmotor mit zwei oben liegenden Nockenwellen um zwei Zylinder verlängerte. Eine gewisse Ähnlichkeit zum Jaguar XK-Motor lässt sich (auch optisch) nicht leugnen. Busso war zufrieden mit der Arbeit des jungen Ingenieurs (siehe Tagebuch von Giuseppe Busso), allerdings stellte sich danach auf dem Prüfstand heraus, dass der Motor thermische Probleme an den beiden hinteren Zylindern bekam – die Zylinderkopfdichtung brannte durch – so dass hier die Kühlung verbessert werden musste. Außerdem zeigte der Motor bei über 6500 Touren deutliche Vibrationen (siehe Brief von Alfa-Motoren-Entwickler Dr. Erwin Landsberg). Damals war es einfach noch nicht möglich Torsionsdämpfer für bewegte Massen am Computer zu berechnen. Diese beiden Probleme führten schließlich dazu, dass Alfa diesen Motor erst einmal in der Versenkung verschwinden ließ. Für den Renneinsatz schien er nicht geeignet und ein passendes Straßenfahrzeug stand noch nicht zur Verfügung.

Es war keine völlige Neuentwicklung wie häufig behauptet wird, sondern eine Weiterentwicklung des erfolgreichen Vierzylinders mit doppelter Nockenwelle. Es wurden zwei Zylinder hinzugefügt und der Motorblock jetzt aus Aluminium gegossen.

Spulen wir die Geschichte nun um zwei Jahre nach vorne: Der neue Alfa Spider 2000 Touring hatte – wie oben erwähnt – nur mäßigen Erfolg, weil trotz 115 PS mit der schwereren Stahlkarosse bei den Kunden nicht so recht ankam. Wie als Erlösung fiel den Alfa-Motorentwicklern um Giuseppe Busso dann im Jahr 1958 wieder der Sechzylinder-Motor ein, der junge Ingenieur Caccia hatte inzwischen gekündigt, für ihn kam ein anderer Ingenieur mit Namen Francesco Quaroni, der einige Verbesserungen an dem Motor vornahm, unter anderem an der Steuerkette. Danach implementierten die Ingenieure das längere Triebwerk mit einiger Mühe in einer Karosse des 2000 Spider. Nach ersten Testfahrten konstatierte Busso in seinem Tagebuch knapp: „Begeisternde Beschleunigung“. Das war ja schon mal was. Im April 1959 akzeptierte Alfa-Chef Orazio Satta schließlich den Vorschlag, den Sechszylinder, begrenzt auf 6500 Umdrehungen, in die Karosserie des 2000er einzubauen und ab Frühjahr 1962 am Markt anzubieten.

Gleichzeitig sollte die Karosserie von Touring maßvoll und ohne große Kosten überarbeitet werden. Der Wagen sollte mehr Nutzwert bringen: Die beiden hinteren Notsitze wurden leicht aufgewertet, das Cabrioverdeck für mehr Kopffreiheit etwas höher gestaltet und der Kofferraum mit einem etwas höheren Deckel leicht vergrößert. An der Karosse wurden darüber hinaus nur kleine Retuschen gemacht – der Lufteinlass in der Motorhaube musste wegen des längeren Motors nach vorne rutschen, die vordere Stoßstange wurde jetzt nur einteilig, was kostengünstiger zu produzieren war, und die seitlichen Kiemen mit Chromumrandung wurden weggelassen. Die waren ohnehin nur Zierrat ohne Funktion gewesen. Um das Gesicht des Wagens erwachsener aussehen zu lassen, kamen anstelle der bisherigen Standlichter mit Blinkern jetzt echte Scheinwerfer mit Fernlichtfunktion – das neue Vieraugen-Gesicht mit den reduzierten Chromteilen machte den Wagen weniger verspielt, wichtiger, prestigeträchtiger. Die Blinker und Standlichter wanderten in verchromte Gehäuse, die auch von Lamborghini genutzt wurden, auf die vordere Stoßstange.

Die 2600 Motor auf dem Prüfstand: Anfangs überhitzten die hinteren beiden Zylinder, wodurch die Kopfdichtung durchbrannte, und über 6500/min traten Vibrationen auf. (Alle Fotos: Alfa Romeo)

So aufgewertet und mit einem um 30 PS leistungsstärkeren Motor wurde der neue Alfa Romeo 2600 Spider schließlich Anfang 1962 auf der Geneva Motorshow vorgestellt und ab Mai im Handel angeboten. Doch trotz aller Aufwertung, trotz des für damalige Zeiten fantastischen Motors mit 145 PS und trotz einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h sollte sich der Wagen bis zu seinem Produktionsende im Jahr 1965 nur sehr mäßig verkaufen. Woran lag das? Zuerst einmal sicher am Preis: 2,9 Millionen Lire, was damals etwa 25.000.- D-Mark entsprach, waren ein sehr stolzer Preis. Aber es lag sicher auch daran, dass die Karosserie trotz der kleinen Retuschen nicht mehr neu war – man kannte den Wagen ja schon seit fünf Jahren als 2000er. Der 2600 brachte also nicht den Wow-Effekt, den sich Alfa erwünscht hatte. Hinzu kam, dass inzwischen die Konkurrenz sehr attraktive Modelle auf den Markt gebracht hatte, zum Beispiel Jaguar den E-Type, Lancia das ziemlich ähnliche Flaminia Cabrio, 1964 folgte Porsche mit dem neuen 911.

Sehr geehrter Herr Stanciu!

Vielen Dank für Ihren Brief vom 28. November. Leider muss ich Sie enttäuschen, aber es ist zu lange Zeit vergangen und ich kann mich nicht viel an den 2,6 Liter-Motor erinnern.

Ich war zu jener Zeit der theoretische Leiter unter Giuseppe Busso und hatte daher eine Zusammenarbeit mit Ing. Ciaccia. Der Motor an sich war der Giulietta im Konzept sehr ähnlich, aber als Sechszylinder hatte er einige Sonderprobleme, welche die Entwicklung stark verlängerten. So zum Beispiel die Zylinderkopfdichtung und der Torsionsdämpfer.
Der Entscheider den Motor zu konstruieren war Ing. Orazio Satta. In den zweiten 50er Jahren war unsere Hauptarbeit die Konstruktion und Entwicklung der künftigen Giulia. Man hatte daher nicht viel Zeit die notwendigen Änderungen am alten 1900/2000 Fahrgestell zu verfolgen. Es ist auch zu bedenken, dass wir damals in der Konstruktion nur etwa 20 Mitarbeiter waren.
Mehr kann ich leider nicht mitteilen, aber mit über 92 Jahren ist es schwer alte vergangene Tatsachen zu verfolgen.

Mit freundlichen Grüßen
Erwin Landsberg
Dott. Ing. Erwin Landsberg

Immer wieder ein Augenschmaus: Der große Sechs-Zylinder hier mit optionalen Weber Vergasern leistete 145 PS und bot ein begeisterndes rehmoment.

Tagebuch von Giuseppe Busso übermittelt von seinem Sohn Fiorenzo Busso an meine Frau Giovanna Dorigati:

Guten Abend Frau Giovanna,
Meine externen Umfragen führten zu keinen nennenswerten Rückmeldungen. Um an Ihrer Forschung mitzuarbeiten, berichte ich im Folgenden, was ich in den Tagebüchern meines Vaters aus jenen Jahren gefunden habe; Ich denke, Sie kennen diese Tagebücher, die die gesamte Arbeitszeit von Giuseppe Busso abdecken, in denen er Tag für Tag alle familiären und beruflichen Ereignisse aufzeichnete.

Deutsche Übersetzung des Tagebuchs:

•    1955 – 10 November: Diskussion mit Hruska und Quaroni über den neuen 1900: von einem Minimum aus wenigen Verbesserungen bis zu einem Maximum von acht Zylindern, mehr als zwei Liter Hubraum, Servolenkung.
•    1955 – 18. November: Satta fragt Busso nach dem neuen Auto: 2,5 Liter, DeDion, Getriebe hinten?
•    1956 – 23. Januar: Mario Colucci, Bruder von Ivo Colucci, und Projektleiter von Busso, beginnt eine Studie zu einem 2,5 l; Radstand, in Abstimmung mit Hruska und Satta: 2,75-2,80 m.

alfa romeo storia
Auch im ersten Prospekt zeigte Alfa Romeo stolz den neuen Sechs-Zylinder-Motor. Es war das Glanzstück in der Motorenpalette von Alfa.

•    1956 – 28. Januar: Vorschlag 2,5l – De Dion Hinterachse und beweglicher Aufhängung.
•    1956 – 2. Mai: Einstellung von Ing. Ciaccia.
•    1956 – 9. Mai: Das Projekt 2,5 l wird anulliert.
•    1956 – 6. Juni: Ciaccia beginnt mit der Planung eines 6 Zylinder, 2,5 l.
•    1956 – 14. Juni: Busso ist sehr zufrieden mit Ciaccia als Konstrukteur.
•    1956 – 8. November: Hruska fragt, was passieren würde, wenn man den 2,5 l auf 2,0 l reduzieren würde.
•    1957 – 8. März: erste Vereinbarung zwischen Hruska – Bianchi Anderloni – Touring –  über einen 2,6 l.
•    1957 – 12. September: Hruska-Satta-Busso-Colucci treffen sich in San Siro in Milano wegen eines Presse-Artikels über den 2,0 Spider 4 Zylinder.
•    1957 – 3. Oktober: Der erste Spider 2,0 wird bei Touring besichtigt.
•    1957 – 30. Oktober: Autosalon in Turin: Präsentation des 2,0 4 Zylinder.
•    1958 – 14. und 17. Januar: Diskussionen mit Ciaccia über Konstruktion zum Abwägen des 6 Zylinders und einem nicht zufriedenstellenden Entwurf eines Automatik-Getriebes.
•    1961 – während des Jahres: Lösung verschiedener Probleme am 2,6 l: Kühler von IPRA – Vibration der Bremsen – Ventilator – nicht genug Kühlung an der Ölwanne – Servobremse von Girling – Ölpumpe – Bremsbacken (sie verzögern die Einführung des Fahrzeugs) – Ölverlust an der Nockenwelle – wir sind am Prüfstand gefangen.

Alfa 2600 Motor nach der kompletten Restaurierung auf dem Prüfstand vor dem ersten Probelauf.


•    1958 – 15. März: Hruska kündigt wegen Meinungsverschiedenheit mit der Direktion über seine Aktionsfreiheit.
•    1958 – 16. Mai: Ciaccia kündigt.
•    1958 – 1. Juli: Quaroni übernimmt die Aufgabe zum Entwurf des 2,6 l.
•    1958 – 5. Juli: Fiorenzo und seine Schwester Carla werden in Varazze in einem Prototyp des 2,0 Spider fotografiert.
•    1958 – 15. September: Test des 2,6 l in San Siro: Begeisternde Beschleunigung.
•    1959 – 2. März: Hruska kommt zurück als Vize-Direktor; kündigt wieder am 14. Oktober.
•    1959 – 8. April: Satta akzeptiert die Einführung des 2,6 l für 1962.
•    1960 – 23. Februar: Test des 2,6 Spider: 191 km/h. Am 25. Februar 197 km/h.
•    1960 – 19. Juli: Überlegung, den 2,6 l auf 2,9 l zu vergrößern.
•    1960 – 2. August: Beginn Planung 2,6 GD .
•    1960 – 25. Oktober: Schwierigkeiten an der Steuerkette des 2,6 l gelöst.
•    1960 – 8. Dezember: Luraghi wird neuer Präsident von Alfa Romeo.
•    1960 – 20. Dezember: Präsentation des 2,0 l, der schon produziert wird, und des neuen 2,6 für die hohen Tiere der Finmeccanica.
•    1961 – 17. September: Mein Vater und meine Mutter machen eine Probefahrt nach Sestriere mit dem 2,6 l.
•    1962 – Sanesi macht eine Probefahrt mit dem 2,6 in Monza: ein Rad verloren.

Nicht nur die Karosserie des 2600 Spider ist bildschön: Es macht jedes Mal Freude die Motorhaube zu öffnen und zu erleben, wie andere Betrachter ganz ehrfürchtig staunen. Einen schöneren Motor wird man auch bei anderen Marken kaum finden.

•    1962 – 7. März: Präsentation des 2,6 vor der Presse.
•    1962 – 3. April: ein Muster des Rahmens vom 2,6 wird an Zagato gegeben, für das Projekt des 2,6 SZ.
•    1962 – 19. Mai: Zagato präsentiert Busso eine Skizze des 2,6 SZ.
•    1962 – 25. September: Facetti holt 192 PS aus dem 2,6 Motor raus.
•    1962 – 31. Oktober: Autosalon in Turin: Zagato stellt den 2,6 SZ aus.
•    1962 – 20. Dezember: Der 2,6 SZ ist nur 5 km/h schneller als der 2,6 Sprint!
•    1963 – 11. März: Pininfarina schaltet sich in die Diskussion ein um das Fahrwerk des 2,6 Spider zu verbessern.
•    1963 – 4. März: Ventura, Konstrukteur bei meinem Vater, beginnt mit dem Entwurf für eine 2,6 Hinterachse mit Einzelradaufhängung.
•    1963 – 24. Mai: Sanesi fährt in Monza eine Runde in 2 Minuten 4 Sekunden mit einem 2,6, der auf 220 PS getunt wurde.
•    1963 – 19. Juli: Ventura macht einen neuen Entwurf für eine 2,6 Hinterachse mit Einzelradaufhängung.
•    1963 – 30. September: Vorschlag für eine Vorderachse beim 2,6 l: leva aperta verso il basso.
•    1963 – 29. November: Beginn eines Entwurfs zur Änderung des Rahmens um die neuen Achsen aufzunehmen.
•    1963 – 4. Dezember: Die Pedalerie wird nach vorne gerückt.
An diesem Punkt habe ich mit meiner Recherche aufgehört, da der 2.6 nun seit über einem Jahr in Produktion ist. In der Hoffnung einen Beitrag geleistet zu haben.
Meine besten Grüße
Fiorenzo Busso